Mut oder Zumutung?

Es scheint eine natürliche Neigung zu sein, dass Eltern einfach alles tun würden, damit es ihren Kindern gut geht. Das Wohlergehen unserer Kinder steht ganz zuoberst auf der Prioritätenliste. Das ist wahrscheinlich auch gut so und hindert uns in gewissen Momenten daran, den Nachwuchs einfach irgendwo auf einer Strasse abzuladen und davon zu fahren. Unsere enge emotionale Bindung ermöglicht es uns zu lieben, mitzuleiden, zu vergeben und die extra Meile mit ihnen zu gehen, selbst wenn sie dabei schreien. 

Nur stellt sich mir immer wieder die Frage; was IST denn nun „das Beste“?...

"Jedes Kind wird mit genügend Mut geboren, um seinen ersten Aufgaben gerecht werden zu können."

R.Dreikurs


 Ist mein Bestes „das Beste“ für die Kinder, oder können sie selber sagen was ihr Bestes ist? Sagt die Gesellschaft was „das Beste“ ist und soll ich mich den neusten Trends anschliessen? Soll ich auf mein Bauchgefühl hören, oder dann doch lieber auf meinen Verstand? Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass es nicht immer weise ist, nach meinen Gefühlen zu handeln, denn die können ganz schön trügerisch sein.

 

Ich möchte meine Kinder nicht leiden sehen und bin trotzdem der Meinung, dass es keineswegs „das Beste“ für sie ist, ihnen alle Steine aus dem Weg zu räumen, damit sie auf einer mit Gold gepflasterten Strasse durchs Leben gleiten können (Ich glaube die erwartet uns erst im Himmel…) . Ich denke sie lernen nichts fürs Leben, wenn ihr Fuss nie an einen Stein stösst und sie nicht die Fähigkeit entwickeln können, Hindernisse mit oder ohne Hilfe aus dem Weg zu räumen.

 

Eltern die ihren Kindern alle Wünsche erfüllen und ihnen alles abnehmen, was auch nur annähernd unangenehm sein könnte, erweisen ihren Kindern keinen Dienst. Durch ihr liebevoll gemeintes Verwöhnen, machen sie es lebensuntüchtig. Aber jetzt genug geschrieben vom hohen Ross herunter!

 

Zurück zu mir und meinen guten Prinzipien: Gerade diese Woche machte ich die Erfahrung, dass auch ich nicht davor gefeit bin, mein Kind vor allem Übel bewahren zu wollen. Unsere Kinder bekamen die Klasseneinteilung fürs neue Schuljahr und meine Tochter kam weinend von der Schule nach Hause. Ihre Klasse wird getrennt und sie wird nicht mehr mit ihren drei besten Freundinnen zur Schule gehen können.

Ich war innerlich entsetzt wie jemand so etwas meiner Tochter antun kann! Ich habe mich immer geärgert über die Eltern die ständig meckern wegen Entscheidungen der Schule und die irgendwelche Extrawürste fordern. Und jetzt stieg in mir selbst mein heiliger, mütterlicher Zorn auf. Wie unfair ist denn das! Nicht nur meine Tochter hat geweint, auch ich musste ein paar Sympathietränen vergiessen.

In mir lief ein Dialog ab, den ich hier nicht niederschreiben möchte, der aber danach verlangte das Schwert in die Hand zu nehmen und  für das Recht meiner Tochter zu kämpfen bis Blut fliesst. Recht wofür? Emotionalen Frieden? Ihren Willen? Gerechtigkeit per se?

 

„Es gibt ja auch noch Gutes.“ Mit diesem Satz riss mich meine Tochter schniefend aus meinen destruktiven Gedanken. „Was ist das Gute?“ fragte ich sie „Ich kann immer noch mit ihnen in die Schule laufen und Pause machen, da wir im gleichen Schulhaus sind. Und ich kann ja mit ihnen abmachen in meiner Freizeit.“

WOW! Was für ein Statement meiner vermeintlich destabilisierten Tochter! Sie sah das Gute und damit die mögliche Versöhnung mit der Situation noch schneller als ich.

Diese Reaktion hat mir gezeigt, dass man sich im Leben oft schmerzhaft den Fuss stösst und stolpert. Nicht selten muss man sich dann hinsetzen und weinen über den Schmerz. Wohl dem Menschen, der gelernt hat wieder aufzustehen und voller Hoffnung und Glaube weiter zu gehen. Nicht verbittert, nicht ängstlich, sondern um eine Erfahrung und ein Erlebnis reicher.

 

Voller Dankbarkeit sehe ich bereits bei unserer 7 jährigen Tochter, die Früchte unserer ermutigenden Erziehung. Die Früchte davon, ihr bei Problemen zur Seite zu stehen, ohne sie der Erfahrung des Bewältigens zu berauben. Wie lebensbejahend es doch ist, wenn ein Kind die Erfahrung machen darf, dass es den Mut und die Fähigkeit hat mit Alltagsproblemen zurecht zu kommen.

Meine Aufgabe darin? Da sein! Trösten und Verständnis zeigen und dann zusammen nach Lösungen und dem Guten suchen. Diese Woche hat es sich einmal mehr gelohnt, meinen ersten mütterlichen Impuls zu beherrschen und meiner Tochter viel zuzutrauen!

 

Seit einiger Zeit betet sie am Abend immer dasselbe Gebet, Worte die sie selber so zusammenstellte und die wie ihr ganz persönliches „Vater unser“ wurden:

„Beschütze du uns, bewahre du uns und verteidige du uns. Die Angst nimmst du uns weg und den Mut gibst du uns.“ Dazu kann ich nur AMEN sagen!

 

Was ist nun also „das Beste“ für meine Kinder? Ich weiss es oft selber nicht. Ein gutes Rezept scheint mir aber, sie zu lieben mit einer Liebe, die sie freisetzt und nicht an mich bindet. Sie zu ermutigen und ihnen viel zuzutrauen, ohne sie zu überfordern. Fest sein bei den gesetzten Grenzen, sie ernst nehmen in ihren Gefühlen und Zeit haben für Nähe und ungeteilte Aufmerksamkeit.

Das gelingt mir nur, wenn ich ehrlich bin zu mir selber, zu meinen eigenen Grenzen stehe und mir zugestehe, dass ich nicht perfekt sein muss, sondern echt! 


Kommentar schreiben

Kommentare: 0