Sich erinnern und vergessen

Was macht eine Mutter einen Tag lang ohne Kinder? Ein geschenkter Tag, ohne Zweifel! Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und Möglichkeiten gibt es viele. Ich? Ich habe meinen Frühlingsputz in der Küche gemacht! Einige lesende Augen weiten sich jetzt gerade vor Entsetzen, ich weiss. Wie kann man nur an einem kinderfreien Tag die Küche putzen? Ihr dürft gerne meinen Mann fragen, es besteht weder ein Putzzwang noch ein überhöhter Anspruch an Sauberkeit...

"Vergessen, aber nicht vergessen werden."

K. Meichenitsch


Mit mir ist also alles in Ordnung und es gibt keinen Grund zur Sorge. Einen Tag lang in aller Gründlichkeit meine Küche zu putzen, ein jährlich wiederkehrender Event, hat etwas Meditatives an sich; ganz aus der Ruhe und ohne Ablenkung. Wenn ich im Alltag putze sind da immer Kinder, die mich von der Arbeit wegrufen, oder die gar mitputzen wollen. Das führt dann in aller Regelmässigkeit zu Zeitlupen putzen mit wässerigen Unfällen und ich vergesse die Hälfte dann doch.

 

Aber ich will jetzt nicht vom Putzen schreiben, sondern eher was sich sonst noch daraus ergab. Nach getaner Arbeit belohnte ich mich mit einem Café Besuch, mit Cappuccino und Kuchen. Am Tisch neben mir sassen zwei alte Frauen, die in ein Spiel vertieft waren: Halma! Ein Blick auf das Spielbrett und auf die knorrigen, etwas unbeholfenen Hände, und das Erinnern begann…

Meine Grossmutter (Grosi) mit genau solchen Händen und vor genau diesem Spiel. Es war „unser“ Spiel, das wir oft zusammen spielten und in dem sie mich mehr besiegte als mir lieb war. Ich konnte nicht anders und musste den beiden Frauen zuschauen. Sie spielten schnell und erfahren. Die Züge waren vorsichtig kalkuliert und es war ein Kopf an Kopf Rennen. Die Finger stiessen altershalber manchmal eine Figur um, einmal aber in der Hand ging es blitzschnell; hüpf, hüpf, hüpf und am Ziel!

Die Erinnerung brachte mir ein warmes Gefühl, aber auch eine Trauer, die ich im Zusammenhang mit meiner Grossmutter noch nie so gespürt habe. Mein Grosi lebt, aber Halma spielen wir schon lange nicht mehr. Sie lebt, aber erinnern tut sie sich schon lange nicht mehr. Sie kann sich nicht mehr an den Spielablauf erinnern und auch nicht an mich.

Genau diese Halma Erinnerung, die durch knorrige Finger und ein Spielbrett, so lebendig für mich wurde, ist aus ihrem Gehirn gelöscht. Ich muss mich alleine erinnern und diese beiden Frauen am Nachbartisch haben mir dabei geholfen.

Mein Grosi lebt schon viele Jahre im Altersheim und die Demenz hat ihr ihr Gedächtnis gestohlen und mir meine Grossmutter. Wie kann man eine Beziehung aufrechterhalten, wenn kein Gespräch mehr möglich ist, wenn keine gemeinsamen Erinnerungen mehr möglich sind und alles was ich sage zu Verwirrung führt? Schwierig. Obwohl ich ganz nahe bei ihrem Pflegeheim wohne, gehe ich sie fast nie besuchen. Das verursacht manchmal Schuldgefühle und ich habe durch dieses Ereignis im Café wieder drüber nachgedacht. Mir wurde bewusst, dass es dieser gefühlte Beziehungsverlust ist, der mich davon abhält sie öfters zu besuchen. Die Beziehung ging verloren wie ihre Erinnerungen und es fehlt der kleinste gemeinsame Nenner; das Erkennen.

 

Mir wurde aber auch klar, dass ich mich weiter erinnern will und dass ich sie genau so im Gedächtnis halten will: Mir gegenüber sitzend, leise vor sich hin pfeifend, den nächsten Zug beim Halma planend! Ein weiterer Entschluss den ich getroffen habe ist, dass ich die Erinnerung mit meinen Kindern teilen und die Tradition fortsetzen will: Ich werde ein Halma kaufen und meinen Kindern das Spiel beibringen!

Sie kennen ihre Urgrossmutter nur als "das Grosi bei dem die Käbeli (Kabel) nicht mehr richtig gesteckt sind" (unsere Art kleinen Kindern die Demenz zu erklären...), aber ich werde ihnen erzählen, dass genau dieses Grosi so gut im Halma spielen war, dass ich meistens verloren habe. Ich habe bis heute den Verdacht, dass sie mich manchmal absichtlich gewinnen lies, damit ich die Lust am Spiel nicht verlor... Genau so, soll sie in meiner Erinnerung bleiben! 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Nicole (Mittwoch, 27 April 2016 19:10)

    Merci für dä schön Text!

  • #2

    Mammandrea (Donnerstag, 28 April 2016 09:13)

    Hallo Nicole
    Gerne geschehen. Ein Thema welches berührt, da es viele andere gibt, die durch Demenz/ Alzheimer geliebte Beziehungen verlieren und sich alleine weiter erinnern müssen.