NO Picture please!

Ich habe soeben einen sehr wertvollen Beitrag über Einsätze in Drittwelt Ländern gelesen. Der Autor Craig Greenfield  fordert die Selfie Generation auf, sich und ihr Verhalten zu hinterfragen, wenn sie einen Einsatz machen. Arme Kinder fotografieren ohne Erlaubnis; geht gar nicht! Sich mitten in einem Slum in Pose werfen; geht gar nicht! Was sind meine Absichten, wenn ich während eines Einsatzes alles fotografiere, mit mir im Zentrum selbstverständlich, und dann auf Facebook poste? Was will ich darstellen und wozu? Diene ich den Menschen wirklich, wenn ich ihre Privatsphäre verletzte und es mit der Welt teile? Herausfordernde Fragen, die nicht nur angenehm sind. Ich war selber mal ein Jahr im Ausland und habe genau solche Situationen erlebt. Man möchte seine Erlebnisse festhalten und mit seiner Familie zu Hause teilen. Die Kunst darin ist es, respektvoll und kulturell angepasst zu bleiben...

Eine fremde Kultur ergründen zu wollen, ist wie der Versuch, den Horizont zu erreichen...


Seit einigen Jahren machen wir als Familie die, nicht immer angenehme, Erfahrung am anderen Ende der Kamera, beziehungsweise des Smartphones zu stehen. Wir leben nicht in einem Drittwelt Land, wirken aber wohl genauso exotisch auf die Chinesen, Japaner, Araber und Inder, wie ein Afrikanisches Kind auf uns wirken würde. Unsere Kinder sind begehrte Foto Objekte mit ihren blonden Haaren und blauen Augen. Wenn die Jüngste dann noch von mir im Veloanhänger herumgezogen wird, bricht die Hysterie los entlang der Flaniermeile der Stadt.

Die ersten englischen Worte, deren meine Kinder mächtig sind heissen:"No picture please!" Was leider absolut nichts nützt. Meine Kinder hassen es, von Touristen fotografiert zu werden und  gerade erst habe ich mich voller mütterlichem Beschützerinstinkt, vor eine kleine Chinesin hingestellt und sie höflich gebeten nicht zu fotografieren. Sie, kein Wort Englisch verstehend,macht fröhlich weiter und als ich mich mit erhobener Hand (nicht um sie zu schlagen, sondern um die Linse zu verdecken!), direkt vor sie hinstelle, geht sie um mich rum und drückt ab! "Doofe Touristen!" sagte mein Sohn dazu und ich kann ihm in dem Moment aus vollem Herzen zustimmen! 

Wir leben in einer Stadt, die für den Tourismus existiert. Das war schon früher so, es gibt zahlreiche wunderschöne Bauten aus dem 19. Jahrhundert, die als Hotels und Pensionen dienten. Wir lebten früher in einem Haus, das Ende 19. Jahrhundert als Sanatorium genutzt wurde. Heute leben wir in einer Villa, die als Pension gebaut wurde. 

Doch das Bild des Tourismus hat sich doch ziemlich verändert in den über 100 Jahren...

Früher flanierten die herrlich gekleideten Damen, in Begleitung eleganter Herren, gemütlich mit dem Sonnenschirm in der Hand, die Promenade entlang. Vor allem die Reichen kamen, um die Alpenluft zu geniessen oder eine Fahrt mit dem Dampfschiff auf einem der Seen zu machen. 

Heute hetzen ganze Horden von chinesischen Reisegruppen durch die Strasse und scheinen nur ein Ziel zu haben: in 20 Minuten eine Uhr kaufen, ein paar Einheimische fotografieren, chinesisch(!) essen gehen und dann wieder in den Reisebus hechten um die nächste Attraktion auf der Kamera festzuhalten. Vor einigen Jahren kamen dann auch die Araber aus den Golfstaaten, sie reisen im gemieteten Auto, sind mit der Familie unterwegs und trotz dem ungewohnten Anblick von Burkas und Verhüllung, sind sie sehr anständig. Die Inder, in Familienclans anzutreffen, sind auch überall und kommen mit ihrer unhöflichen Art bei den Verkäufern nicht nur gut an. Wir sind eine kleine Stadt, haben kulinarisch jedoch fast soviel zu bieten wie unsere Schweizer Hauptstadt! Von chinesisch, über Japanisch, jordanisch, indisch, pakistanisch, japanisch, türkisch, portugiesisch, thailändisch, koreanisch findet man fast alles was das Herz begehrt. Das ist eine der Seiten, die ich sehr schätze am Tourismus.

 

Da Chinesen seit einiger Zeit Pfannen in der Schweiz kaufen wollen, gibt es mehrere Pfannengeschäfte, die teilweise auch abends geöffnet haben. So kam es, dass mein Mann und ich zusammen essen gingen und den Abend mit einem Spaziergang an der Flaniermeile entlang ausklingen liessen. Wir sprachen darüber, dass wir einen neuen Wok brauchen und wo wir den wohl am besten kaufen sollten. Spontan gingen wir in einen renommierten Uhrenladen, der neuerdings auch Pfannen und andere Schweizer Produkte verkauft und erwarben um 10 Uhr abends einen Wok, Schweizer Qualität! Wir wurden von der einzigen Schweizerin des Ladens bedient und erklärten dem chinesischen Verkäufer mit Händen und Füssen, dass er die Verpackung nicht zu öffnen braucht und wir nicht jedes Einzelteil auf Schadhaftigkeit überprüfen wollen! Wir sind schliesslich Schweizer; wenn etwas original verpackt ist - ist auch original drin! Bleibt nur zu erwähnen, dass wir ihn zu Hause auspackten, den Wok und nicht den Chinesen, und eine Schraube am Henkel locker war... als mein Mann wieder im Geschäft auftauchte um ihn umzutauschen, fühlte sich der chinesische Verkäufer bestätigt: Vertraue nie, wirklich nie, blind! 

Neben den vielen positiven Aspekten, dieses multikulturellen Hotspots, gibt es leider auch die Kehrseite der Medaille.

Ich bin hier aufgewachsen und fühle mich manchmal fremd. Es gibt Restaurants, in die gehe ich nicht mehr, weil ich nicht auf deutsch bedient werde. Es gibt Momente, da nervt es einfach nur, wenn ein Inder die ganze Schlange an der Kasse aufhält, weil er mit dem Manager reden will, um sich über irgendetwas zu beschweren. Meine Nerven werden aufs Äusserte getestet, wenn mir wieder ein Chinese vors Fahrrad läuft, weil er ohne zu schauen über die Strasse läuft. Und wenn man einfach meine Kinder ablichtet oder filmt, gibt es Momente da fühle ich mich echt schlecht behandelt. Nachvollziehbar, dass da schnell Aggressionen und Unverständnis aufkommen können, wenn einem das Fremde so unverständlich scheint. Wir Schweizer mögen es halt gerne auf unsere Art und wenn ein ganzer indischer Clan, wohlgemerkt zahlenmässig nicht mehr als eine Fussballmannschaft, im Zugabteil lärmt wie ein ganzes Fussballstadion, dann ist Frau Schweizer nicht nur milde irritiert. 

Ich bin immer wieder herausgefordert, in mir nach Toleranz für Andersartigkeit zu suchen, das heisst auch mal bereit sein etwas stehen zu lassen, das ich nicht verstehe. 

Die Auseinandersetzung mit den Touristen zeigt mir aber auch, wie ich andere Länder bereisen möchte. Und dazu gehört bestimmt nicht im Stechschritt, mit dem Selfiestick um mich schlagend, durch eine Ortschaft zu eilen. Sondern hinzuschauen und zu lernen, Respekt zeigen für Kultur und Leute.

Denn mit dieser Einstellung werden kostbare Begegnungen möglich. Wie zum Beispiel mit einer arabischen Mutter auf unserem Spielplatz. Sie sprach mich an und wir kamen ins Gespräch über unsere Kinder. Sie erzählte mir, dass sie 4 Wochen auf einer Europatour seien und  dass ihre jüngste Tochter, 6 Wochen alt, zu Hause bei ihrer Mutter lassen musste. So sprachen wir darüber, wie es ist von seinen Kindern getrennt zu sein und plötzlich wurde es möglich eine Brücke zwischen zwei total verschiedenen Kulturen zu schaffen. Für ein paar Minuten war sie nicht mehr eine schwarz verhüllte Muslima und ich nicht eine sommerlich gekleidete Christin; wir waren zwei Mütter, die ein gemeinsames Anliegen hatten: Die Liebe zu unseren Kindern! 

Irgendwann steht man wieder an dem punkt, an dem man begonnen hat - Doch der Blick zum Horizont ist anders.

Annette Bopke


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