Mütterliches Versäumnis

Für zwei Tage hatte uns der Sommer fest in seiner heissen Umarmung. In letzter Zeit müssen Herr und Frau Schweizer klimatechnisch ganz schön etwas auf sich nehmen. Da war zuerst wochenlanges Regenwetter, mit kühlen Temperaturen und von null auf sofort schlagen wir uns mit 33 Grad rum, begleitet von tropischer Luftfeuchtigkeit. So war dann am Freitag die Devise:"Ab ins Strandbad!". Dass wir noch nicht ganz im Sommer angekommen sind, zeigte sich dann abends an unserem Sohn. Am Morgen, hatte er Waldkindergarten und wir entschieden uns FÜR kurze Hosen, dafür GEGEN Zeckenschutz (empfohlen wäre vermummt in den Wald zu gehen, wegen den gefährlichen Biestern!). Am Nachmittag im Strandbad wurden die Kinder zwar mit Sonnenschutz eingerieben bevor sie sich ins kühle Nass stürzten, aber eben nur einmal und nicht mehrere Male...

"Urteile nicht, ohne zu wissen"


Das Resultat: Sohn hatte am Morgen im Wald zwar nicht so heiss, dafür aber geschätzte 30 Mückenstiche an den Beinen UND als ob dies nicht schon genug wäre; hatte er zwar Spass beim Baden, aber dafür einen Sonnenbrand am Rücken. Als ich ihn am Abend so lädiert vor mir sah (rot leuchtend an Beinen und Rücken), gab ich mir selber den roten Buzzer! Was für eine schlechte Mutter bin ich eigentlich?! Wie konnte mir das nur passieren?! Was denken jetzt wohl die Leute? Tja die Leute die denken ganz schnell was und oftmals ist ein Urteil schneller gefällt, als man denken kann. Man sieht etwas, bewertet es durch seine subjektive Brille und hat den Menschen mit seinem Verhalten bereits in eine Schublade gesteckt...

 

Daran muss ich mich selber erinnern, denn am Nachmittag im Bad, habe ich auch ein schnelles Urteil gefällt über eine Mutter. Da lässt die doch tatsächlich ihre Tochter, nach dem Eis essen, die Zähne putzen! Im Freibad! Mitten am Nachmittag! Mit der elektrischen Zahnbürste bei den Toiletten... Innerlich belächle ich die Mutter spöttisch und denke:"Die nimmt es jetzt aber echt zu ernst. Das ist wieder eine total überängstliche Mutter, die ihr Kind im Klammergriff der Liebe fast erstickt!" Ja es stimmt, sie stand neben ihrer Tochter wie die Zahnpolizei und befahl ihr ständig wie und wo sie noch putzen muss. Und ja es stimmt, ich habe noch nie ein anderes Kind im Schwimmbad die Zähne putzen gesehen. Aber was macht Mammandrea? Sie steckt diese Mutter gleich in die Schublade, die mit dem Etikett "Helikopter-Eltern" versehen ist! Für jene unter euch, die diesen Begriff noch nie gehört haben, hier ein kleines Zitat des Buches "Helikopter-Eltern/ Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung" von Josef Kraus:

 

"Aus Angst, etwas falsch zu machen oder zu versäumen, schweben immer mehr Eltern einer militärischen Eingreiftruppe gleich über ihren Kindern – bereit, bei den kleinsten Unwägbarkeiten herbeizustürmen und alles wieder ins Lot zu bringen. Die Folge: Die Kinder werden unselbständig, unengagiert und masslos anspruchsvoll."

 

Im Nachhinein muss ich zugeben, dass es vielleicht auch noch andere Erklärungen gibt, weshalb die Mutter ihre Tochter die Zähne putzen liess. Vielleicht musste die Tochter gleich noch zum Zahnarzt, oder...oder....naja mehr fällt mir auch nicht mehr ein - euch vielleicht?

 

Langer Rede kurzer Sinn; es ist nicht immer alles so wie es scheint und mein Urteil gegen diese Mutter, kann verletzen oder mich hart machen gegen jegliches Verhalten, das nicht Mammandrea konform ist. Und ein solches Aburteilen kommt dann manchmal sogar Boomerang-mässig zurück, wie an jenem Abend nach dem Freibad.

Da stand er nämlich, mein sträflich vernachlässigter Sohn, kratzend und leuchtend, vor mir und die Buzzer-Stimme in mir sagte:" DAS wäre der Zahnbürsten-Mutter garantiert niemals passiert! Die ist nämlich eine gute Mutter!"

 

So ist das schnelle belächelnde Urteilen manchmal ein Schutz, damit ich ich mich nicht mit meinen Schuldgefühlen auseinandersetzen muss. Denn es ist doch einfacher sich innerlich über jemanden zu erheben und ihn und sein Verhalten klein zu machen, als einzugestehen, dass es mich eigentlich wurmt. Weil ich durch diese Mutter daran erinnert werde, dass ich manchmal zu nachlässig bin mit dem Zähneputzens bei meinen Kindern. Weil eigentlich, wenn ich ganz ehrlich bin, mein "Versagen" durch ihren "Perfektionismus" hervorgehoben wurde. Denn ich bewerte ja nicht nur andere, sondern auch mich und das Urteil über mich ist manchmal ganz schön hart.

 

Ich bin aufgefordert barmherzig zu sein mit anderen und mir. Ich darf mich daran erinnern die lebbare Mitte zwischen "Versagen" und "Perfekt sein" nicht aus den Augen zu verlieren.

Denn die heisst bei mir:"Ich gebe mein Bestes!" - für meine Kinder ist das glaube ich noch lange perfekt genug (-;

 


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