Gewohnheiten - Stur wie ein Esel?

Gewohnheiten- dieses Wort verbinde ich mich Regelmässigkeit und Vertrautheit. Ich habe mich an etwas gewöhnt, das unverzichtbar wird für mein Leben. Da ist zum Beispiel die Gewohnheit neben meinem Mann einzuschlafen. Die Gewohnheit vor dem Essen zu singen oder am Abend mit den Kindern zu beten - es sind Rituale, die Identität und Sicherheit geben. "Das machen wir bei uns eben so." höre ich die Kinder nicht selten erklären, wenn einer ihrer Freunde zu Besuch ist...

 

Eine Gewohnheit kann man nicht einfach  zum Fenster hinauswerfen...


Für sie sind unsere Familiengewohnheiten "eben einfach so" und wenn wir etwas auslassen, dann protestiert der gewissenhafte Sohn sofort. Eine Änderung im rituellen Ablauf, darf nicht einfach so vorgenommen werden, sondern muss besprochen werden. Das wären mal die Identitätsfördernden Gewohnheiten, welche uns als Familie ausmachen. Da gibt es Zopf am Sonntag, Kerzen am Geburtstag, Kinozeit bei Regenwetter wenn Mamma alleine mit den Kindern ist und die Erlaubnis so viele Freunde nach Hause zum Spielen einzuladen wie man will; aber eben nur wenn Papa zu Hause Chef ist. Darüber müssen wir nicht sprechen, es ist klar und selbstverständlich. Ich könnte hier jetzt aufhören zu schreiben und alles wäre Friede, Freude Eierkuchen...

 

Aber genauso wie sich positive Gewohnheiten langsam entwickeln, bis sie jedem in Fleisch und Blut übergegangen sind, schleichen sich die Lästigen ein. Und ehe ich es bewusst wahrnehme, wird aus gelegentlich am Abend noch etwas naschen, jeden Abend etwas naschen. Aus ab und zu die Teetasse halbvoll irgendwo in der Wohnung stehen lassen, wird immer die Tasse halbvoll stehen lassen. Ich habe die schlechte Angewohnheit administrative Dinge, die ich nicht gerne mache, bis zur letzten Sekunde hinauszuschieben, nur um dann völlig gestresst und panisch doch noch alles zu erledigen. Ich habe mir angewöhnt, so spät wie möglich aufzustehen und bin dann dafür oft unter Druck oder schlecht gelaunt, weil ich nicht mit Ruhe in den Tag starten kann. Und obwohl mir all die negativen Aspekte dieser Gewohnheiten bewusst sind und ich sie eigentlich nicht will, also die negativen Aspekte, kann ich es nicht lassen, denn: "Ich tu' es eben so!"  Wenn ich sie einfach so zum Fenster rauswerfen könnte, hätte ich mich schon lange geändert. Da ich sie aber die Treppe runterlocken muss, bedeutet das viel Einsatz und Geduld von meiner Seite. Das ist dann schon ein wenig schwerer und manchmal echt mühsam. 

Neben den rituellen, schönen Gewohnheiten und den schlechten, lästigen Gewohnheiten, gibt es noch eine dritte Sparte; die wünschenswerten Gewohnheiten.

Dies wurde mir vor einiger Zeit im Bad bewusst, als mich mein Mann beim "Zahnsidele" (Dialekt für: Zahnzwischenräume mit Zahnseide reinigen) entdeckte. "Musst du zum Zahnarzt?", fragte er ganz lakonisch. "Warum fragst du?" meinte ich, bereits in meiner "ein falsches Wort und ich kratz dir die Augen aus"- Stimme. "Na, weil du am zahnsidele bist; das machst du sonst doch nie." Er kennt mich einfach zu gut! Ja ich gebe es zu: Ich war am "Angst-Zahnsidele", denn ich hatte Schmerzen und wusste; bald ist es Zeit für einen Zahnarztbesuch. Ich wollte quasi in 2 Wochen aufholen, was ich das ganze letzte Jahr nie getan habe; mich meinen Zahnzwischenräumen widmen. Und wozu? Damit ich nicht lügen muss, wenn mich der Zahnarzt in seiner väterlich mahnenden Stimme fragt:"Brauchen sie die Zahnseide regelmässig???"... Lügen soll man nicht, aber die Wahrheit sagen, wäre auch keine Lösung, denn ich habe den Zahnpflege Vortrag schon so oft gehört, dass er  mir zu den Ohren raushängt! Aus dieser Angst vor dem Zahnarzt entwickelte ich also die Strategie des"Angst- Zahnsidelens" und frage mich, warum ich mir nicht einfach angewöhnen kann, jeden Abend richtig zu tun, was ich ansonsten nur 2 Wochen im Jahr tue?

Weil es eben genauso schwer ist sich etwas Gutes an-, wie sich das Schlechte abzugewöhnen...

Es gibt immer wieder die Versuche, mich von den schlechten Gewohnheiten zu trennen und ich schaffe es dann tatsächlich, sie für eine Weile die halbe Treppe runterzulocken. Dann kommt aber oft der Zeitpunkt, nämlich immer dann, wenn ich ihnen den Rücken zukehre, bei dem sie nullkommanichts wieder in der Wohnung stehen - als wären sie nie weggewesen. Stur wie ein Esel, lassen sie sich nicht vom Fleck bewegen, die wünschenswerten, wie die lästigen Gewohnheiten - sie scheinen ein Eigenleben zu haben! Ich denke mit den Gewohnheiten ist es wie mit einem Esel: Man muss ihnen gut zureden und ihnen die gewünschte Wegrichtung schmackhaft machen, damit sie sich vom Fleck bewegen. Dazu muss ich aber selber wissen, wo ich eigentlich hin will, was mein Ziel ist, meine Motivation - sonst nutzt alles für nichts. 

 

Seit meinen Zahnarztbesuch sind 3 Wochen vorbei, ich bin um einen Weisheitszahn ärmer und immer noch am "zahnsidele". Mein Ziel ist nicht noch mehr Geld ausgeben zu müssen, für Zahnarztbehandlungen! Mal sehen wie weit die Motivation reicht und wie lange mein guter Wille andauert...

...man muss sie Stufe für Stufe die Treppe hinunterlocken."

Mark Twain


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