Langeweile - Begegnung mit der inneren Kreativität

"Mamma mir ist langweilig!" - "Dann spiel mit deinen Schwestern."-"Neiiinnn!" - "Dann mach was mit den Lego..."-"Neiiin!" So oder ähnlich gestaltet sich eine Langeweile Diskussion mit meinem Sohn, gefühlte 1000 Mal im Tag. Ich weiss nicht wann es mir das letzte Mal langweilig gewesen ist und deshalb habe ich wenig Verständnis für das Gejammer meines geliebten Sohnes. Recht schnell reisst bei mir dann auch der Geduldsfaden und ich reagiere genervt. Was ist eigentlich sein Problem? Ich habe doch keine Lust mein Kind ständig zu bespassen und ihm ein tolles Langeweile-freies Programm zu bieten! Solche Gedanken beschäftigen mich dann jeweils während eines passiven Zwischentiefs meines Sohnes...

"LAssen sie ihre Kinder sich langweilen, sie können das mit reinem Gewissen tun."

Jesper Juul


Gerade erst diese Woche habe ich einen Artikel zum Thema Langeweile in den Sommerferien gelesen. Dort erklärt der Autor, wie wichtiges ist, dass die Kinder echte Freizeit haben, also kein verplantes Spassprogramm, sondern Zeiten des "Seins" anstelle des "Tuns". Wenn man sich darauf einlässt als Eltern, ist es unvermeidlich, dass es den Sprösslingen irgendwann langweilig wird und sie lustlos rumhängen. 

Ich stimme dem Familientherapeuten Jesper Juul voll zu, wenn er sagt:

 

"Langeweile ist der Schlüssel zur inneren Balance - egal in welchem Alter. Diejenigen, die die Unruhe vorbeiziehen lassen, kommen in Kontakt mit ihrer Kreativität. Unsere Kreativität ist der Raum, in dem wir uns spüren, uns selbst kennenlernen, uns selbst ausdrücken und die Erfahrung von Selbstverwirklichung machen. Was sich noch vor einer Stunde wie eine unangenehme Stille anfühlte, erzeugt plötzlich inneren Frieden und wird zur emotionalen Aufladestation."

Jesper Juul, derstandard.at

 

Der kritische Moment für mich als Mutter ist jeweils genau dann, wenn der Sohn unmotiviert und lustlos in den Seilen hängt. Er fordert dann von mir, dass ich ihn aus diesem Loch heraushole und früher versuchte ich das auch reflexartig zu tun. Aber egal was ich vorschlug, nichts aber auch gar nichts fand Anklang. Am Schluss einer solchen Diskussion waren immer beide gefrustet und genervt. Als ich verstand, dass er im Moment der Langeweile innerlich unruhig und unzufrieden ist mit seinem Zustand, leuchtete mir auch ein, dass nichts was ich sagen könnte ihn zufriedenstellen wird. Denn er muss diese unzufriedene Unruhe selber überwinden. Damit er das überhaupt kann, muss ich als Mutter den Mut haben, ihn in seiner Langeweile zu belassen und ihm zutrauen, dass er da selber wieder herausfindet. 

Seitdem ich mir dessen bewusst bin, habe ich gelernt genau das zu tun und ich staune dann immer wieder, was dabei herauskommt! Plötzlich treffe ich ihn beim Legospiel an, wie er beispielsweise einen Flugzeugträger baut oder beim Basteln mit Karton, damit seine Plüschtiere ein Haus haben. 

 

Die Bereitschaft meinen Sohn mit seiner inneren Kreativität in Kontakt kommen zu lassen , hat manchmal auch seinen Preis. Ich habe ihn dann nämlich nicht unter absoluter Kontrolle und muss ihn ab und zu vertrauensvoll in sein eigenes Abenteuer ziehen lassen. Der Ausgang dieses Abenteuers ist nicht immer ganz in meinem Sinne...

So zum Beispiel gerade erst letzte Woche, als ein Anfall von Langeweile dazu führte, dass er schlussendlich mit seinem Freund draussen spielen ging. Zwanzig Minuten bevor es Zeit war geputzt und geschniegelt ans Schulabschluss Apero zu gehen, suchte ich die Jungs und traf sie in einem selbst gebuddelten Schlammloch an! Sie haben sich wie die Schweine darin gesuhlt und waren von Kopf bis Fuss Dreck verschmiert! Ihre Augen strahlten mich an und ich wusste; dieses Spiel strotzte nur so, von innerer Kreativität und Ideenreichtum. Deshalb schluckte ich zweimal leer, stellte bewusst meine "seid ihr von allen guten Geistern verlassen-Stimme" auf lautlos und spritzte die beiden mit dem Gartenschlauch ab. Eine Dusche war unvermeidlich ,da der Schmutz in den Ohren und allen Löchern steckte, so schickte ich ihn rauf, mit dem Auftrag zu duschen, während ich im Garten Schadensbegrenzung betrieb; im Hinterkopf immer die Zeit , die davon tickte...

Innerlich klopfte ich mir schon auf die Schultern, wie souverän und ruhig ich das Ganze gemeistert hatte. Kinder sollen spielen, ihrer Fantasie freien Lauf lassen...ich bin doch keine Spassbremse... so meine Gedanken, als ich in die Wohnung kam und den ersten Schlammklecks auf dem Boden bemerkte...

Anstatt, wie angewiesen, sofort unter die Dusche zu gehen, machte mein Sohn, so stellte sich heraus, einen Triumphlauf durch fast alle Zimmer, auf der Suche nach seinen Schwestern. In Händen hielt er die schlammig-tropfenden Kleider und verteilte das schmierige Zeug unbemerkt in der halben Wohnung. Vorbei war's mit meiner Ruhe und ich ging mit 100 Dezibel ab durch die Decke. Ich weiss es ist nicht rühmenswert, habe mich danach auch ganz schrecklich gefühlt, aber meine Toleranzgrenze war erreicht!

 

Deshalb ja; es wäre manchmal einfacher die Langeweile des Kindes sofort zu eliminieren, indem ich ihm ein mega Programm biete, wie beispielsweise in den Indoorspielpatz gehen oder der Einfachheit halber ein DVD reinschieben. Das Risiko wäre kleiner und von mir persönlich kontrolliert.

Auf diese Weise würde mein Kind aber nicht lernen, diese Unzufriedenheit auszuhalten und es in positive Energie umzuwandeln. Ich würde es denkbar schlecht ausrüsten für sein Erwachsenenleben, wenn ich ihm nicht lernen würde, dass es im Leben nicht immer um sofortige Lustbefriedigung oder Unlustbeseitigung geht. Die wirklich  guten Ideen und Spiele, werden oftmals aus Langeweile geboren. Das ist die Lektion, die meine Kinder lernen sollen; stinkige Schlammflecken hin oder her! 

 

Ach und übrigens; Langeweile gibt es nicht nur bei Söhnen, sondern auch bei Töchtern. Nur meine scheinen eine Persönlichkeit zu haben, welche auch ohne Langeweile-Gefühl zu den kreativsten Ideen kommen...

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Iris (Freitag, 14 Juli 2017 09:56)

    Hallo Andrea

    Danke für deinen Blog! Ich lese sehr gerne mit und freue mich schon jetzt auf das Erscheinen deines Buches. Herzliche Grüsse aus Schaffhausen.

    Iris

  • #2

    Eva (Montag, 07 August 2017 21:32)

    Liebe Andrea
    Ich lese immer gerne von dir und fühle mich dabei angesprochen. Vielen Dank für deine ehrlichen Gedanken, die in der totalen Realität und im Mütter-Wahnsinn, den wir tatsächlich manchmal aushalten müssen / dürfen, verankert sind. Hut ab und weiter so!