Nachhaltigkeit: neuer Lifestyle oder alter Zopf?

"Foodwaste" - "Nachhaltigkeit" - "Zerowaste" - "Sahring is caring" ... das sind nur einige der trendigen, umweltbewussten Begriffe, die einem auf Facebook, Instagram& Co. begegnen.  Seit einigen Jahren ist ein neuer Lifestyle am entstehen, weg von Materialismus und Vergeudung, hin zu bewusstem und verantwort-ungsvollem Leben. Das Motto dieser Bewegung ist nicht "je mehr desto besser", sondern "weniger ist mehr". Weniger Fleisch, weniger Kleider, weniger Abfall und so weiter.Heute hatte ich eine Begegnung mit einer alten Frau und durch sie wurde mir bewusst, dass all diese "neuen" Lifestyle-Ideen,  früher nicht trendig waren; sie waren stinknormal...

"Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts Genug."

Epikur


Aufgewachsen in einem Bergdorf, als Tochter eines Bauern kannte diese Frau, nennen wir sie Martha, kein "zu viel", sondern nur "gerade eben genug". Foodwaste war damals ein Fremdwort, denn jede Kartoffel wurde verwertet, jeder Apfel, und sei er auch noch so verschrumpelt, wurde gegessen, getrocknet oder vermust. Tee machten sie aus den Kräutern, die sie rund ums Haus fanden; Thymian, Brennnessel, Frauenmantel oder Holunderblüten. Kleider hatte man ein Werktagskleid und ein Sonntagskleid. War etwas kaputt, dann flickte man es. Eine andere Dame älteren Semesters erzählte mir gerade erst letzte Woche, dass man in ihrer Familie alle zwei (!) Monate gewaschen habe. Die Waschtage dauerten drei volle Tage und waren sehr anstrengend. In den zwei Monaten trug man mehr oder weniger dasselbe und hängte es einfach zum Verlüften vors Fenster. Als ich Martha erzählte, dass es eine junge Frau gibt, die als Projekt ein ganzes Jahr im selben Kleid herumläuft, um auf die unfaire, ausbeutende Kleiderindustrie hinzudeuten und zum bewussten Kleiderkauf zu motivieren, schaute sie mich mit grossen Augen an und sagte:"Ja immer dasselbe zu tragen war bei uns halt normal und meistens hat man es selber genäht oder im Dorf nähen lassen." (Das Projekt kannst du auf Instagram verfolgen unter: one_theproject)

Zurück zu Martha; heute Morgen zeigte sie mir ein wunderschöne Tagesdecke, die sie aus den alten Schürzenkleidern ihrer verstorbenen Mutter genäht hat. Das Quiltmuster würde heute als hip und trendig gelten und ziert das Bett ihres Mannes. Als sie mich in ihr Schlafzimmer führte und mir den Wandbehang zeigte, der die Wand über ihrem Bett schmückte, blieb mir glatt die Spuke weg! Eine Patchwork Decke mit einem Stern, genäht aus den alten Hemden ihres Vaters, alles in den Blautönen des typischen Schweizer "Edelweiss- oder Küherhemdes". Aus etwas Altem, Alltäglichem schuf sie eine kunstvolle Erinnerung für ihr zu Hause! 

Mich berührte diese innere Einstellung zutiefst. Sie lebte ein einfaches Leben, ohne Luxus und Privilegien, aber besitzt ein immenses Wissen und viele Fertigkeiten (Spinnen, weben, klöppeln, stricken, nähen, häckeln und vieles mehr). Sie könnte ohne Weiteres einen Nachhaltigkeits- Blog schreiben und hätte mit ihren Ideen auf Pinterest viele Follower; aber nicht weil sie neue Ideen weitergibt, sondern weil sie altes, wertvolles Wissen in sich trägt. 

Was unsere Generation neu erfinden muss, lebt Martha ganz natürlich schon seit ihrer Kindheit und durch ihre nachhaltige Lebensweise wurde sie mir zu einem grossen Vorbild!


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