Von verschwunden Hasen und falschem Verantwortungsgefühl

"Mamma!" keuchte meine älteste Tochter die Treppe hoch. "Komm sofort runter, die Hasen sind weg!" - "Waaasss?! Wie? Warum?" Mein Hirn schlug Purzelbäume und ich liess mich im Nullkommanichts von Julies Panik anstecken. 

Ja, wir haben Hasen, besser gesagt, meine Töchter haben Hasen Ich wollte ja nie, wirklich nie, Haustiere, aber was soll man machen,wenn man eine absolut Tier vernarrte Tochter hat? Die Verantwortlichkeiten wurden von meinem Mann im Vorfeld ganz klar abgesteckt; die Viecher sollten gehegt und gepflegt werden und zwar OHNE die Mithilfe der Eltern. Er sei zuständig für die Tiergerechte Haltung, der Rest sei Mädelssache. Ich könne mich total aus dem Haustier Busisness raushalten, hat er gemeint....

"WIr sollten uns auch für das verantwortlich fühlen, was wir denken und empfinden."

Johann Friedrich Herbart


Und da war ich nun; mit der Tatsache konfrontiert, dass die Kaninchen nach erst 5 Tagen bei uns im Garten, verschwunden waren! Anstatt ruhig zu bleiben und einen klaren Kopf zu bewahren, wurde ich total kopflos, ganz so als wäre nicht ein Haustier, sondern eines meiner Kinder verschwunden, ich sah mich schon in der unmittelbaren Nachbarschaft durch die Büsche und Hecken kriechen, im hoffnungslosen Versuch die zwei schwarzen Fellknäuel zu finden. 

 

All diese Gedanken huschten in Sekundenschnelle durch mein Hirn und ich verstrickte mich gedanklich schon in die schlimmsten Horrorszenarien. DAS eine, ganz reale Horrorszenario, welches unsere Kaninchen durchmachen mussten, wurde mir aber erst bewusst, als ich unten beim Käfig ankam: Schell erfasste mein Erwachsenenauge, was Julie nicht wahrgenommen hatte; der Fuchs war da!  Die Erde um den Käfig aufgebuddelt, Pfotenspuren und Fellfetzen am Gitternetz. Mein Mann hat den Hasen eine lange Röhre im Boden vergraben, die in einen unterirdischen Eimer mit Stroh und Heu endet. Dies soll einen Kaninchenbau ersetzen und die beiden lieben die Höhle tatsächlich sehr. Und genau diese handwerkliche Leistung, hat unsere Hasen vor dem blutigen Tod und meine Kinder vor dem ersten Tierverlust bewahrt. Als wir den Deckel der künstlichen Höhle anhoben,  sassen sie nämlich verängstigt, aber unversehrt dort drin. Nochmal gut gegangen!

 

Meine Reaktion auf dieses Ereignis liess mich jedoch über mein Verantwortungsgefühl nachdenken. Als Julie mir mitteilte, dass die Hasen weg sind, flippte ich regelrecht aus und rief sogar meinen Mann auf der Arbeit an, beschuldigte ihn, dass ich ja NIE Haustiere wollte, wegen all der Sorgen und überhaupt! 

Ich, die ich nie Tiere wollte, sorgte mich plötzlich unglaublich um ihr Wohlergehen.

Mir wurde bewusst , dass ich falsche Verantwortung übernehme; Verantwortung die mir weder zusteht, noch an mich übergeben wurde. Tief in mir drin, hatte ich das Gefühl, ich müsse doch auch noch zu diesen Hasen schauen, weil meine Töchter das sonst eh nicht schaffen. Plötzlich wurde mir klar, dass mein "gut gemeintes" Verantwortungsgefühl eigentlich nur gut getarnte Kontrollsucht ist. Ich will es im Griff haben, bei mir müssen die Fäden zusammenlaufen und Verantwortung abgeben, hiesse Kontrolle abgeben. Mehr als ein bisschen beschämend, das hier aufzuschreiben...  Meine Töchter machen das nämlich super! Sie nehmen die ihnen zugeteilte Verantwortung wahr und das Letze was sie brauchen ist eine überbesorgte Mutter die in allem auch noch ihre Finger mit im Spiel hat. Klar, in ihrer Verantwortung passieren auch Fehler, da steht meine Tochter zum Beispiel um 22:00 plötzlich wieder auf, obwohl sie schon lange schlafen sollte und verkündet mit grossen Augen, sie habe die Hasen vergessen zu füttern. Aber sind nicht gerade diese Erfahrungen die guten und gesunden Lernprozesse? 

 

Ich ermutige junge Mütter immer wieder ihren Kindern mehr zuzutrauen und ihnen Verantwortung zu übergeben. Das heisst auch, seinem Sohn das Znüni nicht in die Schule nachzutragen, weil er es vergessen hat einzupacken. Oder dem Kind zuzutrauen selbständig Milch kaufen zu gehen. Mehr Verantwortung übergeben, heisst, der Tochter etwas anzuvertrauen, sie selbständig werden zu lassen, ihr aber dann auch nicht die negativen Erfahrungen abzunehmen, sondern  mit ihr gemeinsam hindurchzugehen und zu reflektieren,was sie daraus lernen kann. 

 

Selber tappe ich auch immer mal wieder in die Falle und verspüre kurz den Drang zur "Helikoptermutter", die alles und jeden auf dem Radar hat, zu mutieren! Die Hasen namens "Chipeewa" und "Nicki" haben mich eines Besseren belehrt; ich darf loslassen - wenn es mir nämlich gelingt, falsche Verantwortung loszulassen, dann gibt es bei mir wieder Luft zum gelassen und entspannt Sein.

Ich lass die Hasen jetzt Hasen sein und das Einzige was ich mache ist, ihnen liebevoll Gemüsereste zur Seite stellen, damit meine Töchter es am Abend an sie verfüttern können. Das nennt sich dann aber nicht falsche Verantwortung, sondern liebevolle Fürsorge!


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Kommentare: 1
  • #1

    Manu (Freitag, 29 Juni 2018 10:57)

    olala, mit diesem Thema triffst du den nagel auf den kopf. danke fürs dran erinnern, was der unterschied zwischen liebevoller fürsorge und falscher verantwortung ist=)