Erwartungen vs. Enttäsuchungen

Diese Woche kam ich nach einem anstrengenden Tag Arbeit nach Hause und freute mich auf einen ruhigen Feierabend. Meine Vorstellung des bevorstehenden Abends sah in etwa so aus: Kinder ins Bett bringen und dann nichts mehr tun, einfach sein! Etwas lesen oder einen Film reinziehen, einen Tee trinken und entspannen. Stattdessen kam alles anders als gedacht...

 

 

 

Photo by Larm Rmah on Unsplash

"Unrealistische Erwartungen sind vorprogrammierte Enttäuschungen"


 Ich wusste, dass mein Mann nicht zu Hause sein würde und die Kinder sobald ich da war, fernsehen duften. Mein Ziel, sie um 20:00 im Bett zu haben, rückte in weite Ferne, als ich später als gedacht nach Hause kam und ich meinen Sohn draussen am Strassenrand antraf. Mein erster Gedanke war: «Jööö; mein Sohn wartet voller Sehnsucht auf mich!» Als ich jedoch sah, dass er mit dem Schlafanzug bei strömendem Regen im nassen Gras sass, wurden meine liebevollen Muttergefühle schnell von genervten Gedanken verdrängt: «Bleibt an dem Kind denn eigentlich nichts von unserer guten Erziehung hängen? Geht’s eigentlich noch?!» Als er mich dann nicht mit willkommen heissenden Worten, sondern mit dem Vorwurf: «Wo warst du so lange, wir wollen fernsehen!» begrüsste, waren die Würfel gefallen und wir befanden uns innerhalb weniger Minuten in einem grossen, klingenkreuzenden Kampf! Böse Worte fielen, Türen wurden zugeschlagen und in meiner Wut machte ich einen Rundumschlag und schimpfte auch gleich noch mit meinen Töchtern, die völlig perplex in Tränen ausbrachen. Ich kann es nicht in schönen blumigen Worten umschreiben: Ich bin ausgerastet! Und anstatt gemütlich den Feierabend ausklingen zu lassen, musste ich im übertragenen Sinne die Scherben meines Wutanfalls zusammenwischen und Ordnung schaffen. Im Klartext hiess das; meine Kinder um Verzeihung bitten für mein Verhalten und Frieden schliessen an allen Fronten. Dieses Erlebnis liess mich nicht wenig schockiert zurück; schockiert über mich selbst und mir wurde bewusst, dass ich während meines ganzen Wutanfalls wie in zwei Personen geteilt war. Da war einerseits die physische Andrea, mit der die Gefühle durchgingen, die laut und verletzend wurde und andererseits stand mein inneres, reifes und reflektiertes ICH neben mir und schüttelte die ganze Zeit enttäuscht den Kopf. Dieses ICH bewertete die ganze Zeit meinen Ausraster und war ganz und gar nicht zufrieden mit mir.

 

Es war dann auch dieser Teil von mir, der mich dazu drängte die Sache schnell zu bereinigen und mich im Nachhinein ins Grübeln brachte, wie denn nun die ganze Eruption überhaupt zu Stande kam.

 

Mir kam ein Zitat in den Sinn, welches ich gerade erst irgendwo gelesen hatte:

 

«Unrealistische Erwartungen sind vorprogrammierte Enttäuschungen»

 

Ich denke genau das ist passiert; ich kam in einer Erwartungshaltung nach Hause und wurde enttäuscht. Aber statt meine Erwartungen der Realität anzupassen, beschuldigte ich indirekt meine Kinder und das machte mich wütend. Wie entstehen denn bloss immer diese unrealistischen Erwartungen, wenn man doch dann so oft enttäuscht wird? In meiner Beratungsarbeit stelle ich immer wieder fest, dass sich Erwartungen aus eigenen Wertvorstellungen, wie die Dinge sein sollten, und aus eigenen oftmals unbewussten Zielen die man verfolgt, bilden. Meine Erwartung war ein ruhiger entspannter Abend, mein Ziel: Machen was ich will. Stattdessen kam ich in eine angespannte Situation, weil meine Kinder ja auch Erwartungen hatten (nämlich fernsehen) und ich konnte keineswegs machen was ich wollte, sondern befand mich mitten im Trubel des Alltags. Eine explosive Mischung…

 

In der Beratung verfolge ich unter anderem das Ziel, dass der Ratsuchende seine Erwartungen und Ziele erkennen und benennen kann und dass er dann Verantwortung für sein Fühlen und Handeln übernimmt. Wenn ich aber meine Beraterkleidung ausziehe und in mein Mamma-Outfit schlüpfe, gelingt es mir oft nicht meine eigenen Beraterweisheiten in die Tat umzusetzen. Wie frustrierend!

 

Meine Kinder sind nicht da, um meinen Erwartungen und Zielen zu dienen. Ebenso wenig muss ich alle ihre Erwartungen erfüllen und mich von ihren Gefühlen und Forderungen gefangen nehmen lassen. Diese Begebenheit hat mich einmal mehr gelehrt, dass ich meine Erwartungen auf Herz und Nieren prüfen darf, um das nächste Mal hoffentlich schon im Vorfeld zu merken, dass sie unrealistisch sind. Denn ironischerweise hätte es gereicht, wenn ich von meinen Vorstellungen nur ein bisschen abgewichen wäre. Dann wären die Kinder zwar nicht um 20:00, sondern um 20:30 im Bett gewesen, ich hätte aber danach immer noch genug Zeit gehabt, um mich zu erholen. Um eine halbe Stunde mein Ziel justieren und es hätte nicht soweit kommen müssen. Den Vorwurf meines Sohnes, nicht persönlich nehmen, sondern die Unzufriedenheit bei ihm lassen. Kleine Einstellungsänderung mit grosser Wirkung!  

 

Ich rufe mir in Erinnerung, dass auch Scheitern zum Erfolg gehört und ich durch Misserfolge immer auch etwas lernen kann. Also bin und bleibe ich «keine Superheldin» auch im Muttersein. Das absolut Erstaunlichste und Treffendste hat mein Sohn vor einigen Wochen formuliert: Auf die Bemerkung einer Bekannten, dass er eine perfekte Mamma habe, meinte er: «Nein, sie ist nicht perfekt, aber das muss sie gar nicht sein. Sie ist grad richtig, so wie sie ist.»  Dem kann ich nichts hinzufügen und ein Sohn, der eine solche Aussage macht, sollte eigentlich das Recht haben, im Pyjama und strömendem Regen auf seine Mamma zu warten….jederzeit!

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Christian (Mittwoch, 28 August 2019 21:42)

    Danke für die Worte.