Ein Hund namens Netflix

Corona sei Dank, leben wir im Moment in einer etwas anderen Realität. Unser Bewegungsradius und unsere Freiheit sind stark eingeschränkt und fordert uns heraus, trotzdem unseren Alltag kreativ zu gestalten.

Wie in meinem letzten Blog beschrieben, ist es im Moment auch erforderlich, gewisse Regeln etwas zu lockern. So schauen wir und die Kinder, etwas mehr Filme als in «Nicht-Corona-Zeiten»...


Wenn wir zu fünft, eng zusammengepfercht auf dem Sofa sitzen und in unseren Laptop starren, hat das durchaus etwas Beziehungsförderndes an sich. Wir haben nämlich weder Beamer und Leinwand noch einen riesigen LCD-Bildschirm, nein; wir haben einen Laptop! Und wenn man nicht wirklich eng zusammensitzt, dann sehen die am Rand nur die Spiegelung des Bildschirms. Deshalb rücken wir gerne nahe zusammen und schauen uns «krützbigelet» einen Film an.

 

So kam es letzte Woche, dass mein Mann sich besorgt äusserte wieviel wir bei iTunes für Filme ausgeben und ich wagte den vorsichtigen Vorschlag, ob wir uns nicht über ein Netflix Abo Gedanken machen wollen. Netflix ist für meinen Mann ein Reizwort, bei dem er bis anhin sofort mauerte und die Schotten dicht machte. Denn Netflix ist für ihn das Eintrittsportal, um Serienjunkie zu werden und seinem Leben zu entfliehen. Netflix ist das Tor zum unbegrenzten, uferlosen Binge Watching und zerstört Beziehungen und Familien. Es ist ein heisses Eisen, an dem man sich besser nicht die Finger verbrennt. Dazu muss ich sagen, dass mein Mann ohne Filme durchs Leben gehen könnte. Es ist weder ein Hobby noch eine Art der Entspannung für ihn. Klar schaut er gerne mit mir einen Film, da ist aber das «zusammen» im Vordergrund und nicht der Film. Klar weiss er einen guten Film zu schätzen und kann auch noch tagelang über einen nachdenken, aber er braucht diese Art der Zerstreuung eigentlich nicht. Wohingegen ich sehr gerne auch mal eine Serie schaue. Bis jetzt musste ich jeweils meine vielgeschauten DVDs aus ihren Boxen nehmen und sie in den Laptop schieben. In 12 Jahren habe ich alle Friends Staffeln wahrscheinlich schon achtmal ganz durchgeschaut; ich kann das auch ein neuntes oder zehntes Mal tun und immer noch über die bereits bekannten Pointen lachen– ich bin da bescheiden.

 

Im Netflix Thema geht es jedoch noch um etwas anderes; nämlich darum, wie wir als Ehepaar mit einem kontroversen Thema umgehen, bei dem jeder an einem anderen Ort steht. Soll mein Mann weiter mauern, soll ich darauf bestehen oder einfach nachgeben? Worum geht es eigentlich? Darum, dass der eine über den anderen siegen kann, seinen Willen durchsetzen oder darum gemeinsam zu einer Lösung und vielleicht sogar zu einem Kompromiss zu finden?

 

Damit wir überhaupt weiterkamen, war es wichtig das mein Mann seine Befürchtungen klar äussern konnte und dass ich diese Ängste ernst nahm. Seine Angst ist nämlich, dass ich so absorbiert sein werde mit Netflix, dass er keine Zeit und Aufmerksamkeit mehr von mir bekommt. Er sieht Netflix wie einen potenziell gefährlichen Hund, den wir in unsere Familie lassen und der alles andere verdrängen könnte. Was wenn der plötzlich in unserem Bett schläft, sich jeden Abend auf unserem Sofa breitmacht? Was wenn der Hund so viel Aufmerksamkeit bekommt, dass die Familie und Ehe zweitrangig wird?

Ich möchte ja jetzt gerne alles bestreiten und meinem Mann sagen, dass er mich völlig falsch einschätzt. Gerne möchte ich sagen, dass ich diesen Hund voll im Griff haben werde und die Versuchung war gross während des Gesprächs eingeschnappt zu sein, weil er mir so wenig zutraut. Ich habe aber gemerkt, dass nicht der Zeitpunkt war stolz zu werden, sondern ehrlich zu sein. Ja, ich wäre ein potenzieller Serien Junky. Würde ich alleine leben könnte es sehr gut sein, dass Netflix und ich enge Freunde wären. Ich spüre diesen Hang in mir, wenn es sehr herausfordernd wird in meinem Leben, der Realität zu entfliehen. Sich und seinem Partner so etwas einzugestehen, ist nicht einfach und kratzt am Ego. Aber schlussendlich ist diese Ehrlichkeit und Offenheit der beste Schutz, um nicht genau in diese Falle zu tappen.

 

Wie es weiterging mit unserem Hund namens Netflix? Wir sprachen über Rahmenbedingungen und Schutzmassnahmen, damit die Ängste meines Mannes nicht Wirklichkeit werden würden. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir nur das Abo lösen mit einem Gerät, und zwar dem Laptop. Hätte ich diese App auf meinem Natel, dann wäre die Versuchung für mich zu gross. Weiter wurde klar, dass wir diejenigen sind, die den Hund führen und bestimmen wann und wo er welchen Platz bekommt. Ich kommuniziere meinem Mann wann ich Netflix schaue und er anerkennt, dass es für mich eine Art der Erholung ist. Das sind nur einige der Dinge, die wir besprochen haben.

 

Dieser Prozess ist für mich Sinnbild, wie Ehe gelingen kann. In einer Beziehung geht es nicht darum, dass wir immer einer Meinung sind. Es geht aber auch nicht darum, ständig auf sein Recht zu pochen, aus Angst zu kurz zu kommen.

 

Gerade heute habe ich Folgendes in der Bibel gelesen:

 

«Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern an den der anderen, jeder und jede von euch!»

Philipper 2.4

 

Was heisst das für die Ehe? Wenn ich nicht zuerst an mich denke, sondern an meinen Partner, dann bekommt mein Eheleben eine ganz andere Dynamik. Dann bin ich im Falle von Netflix, bereit die Ängste meines Mannes ernst zu nehmen und in ihnen nicht die Beschränkung für mich, sondern das Bedürfnis, dass sich dahinter versteckt zu sehen: Nämlich der Wunsch ungeteilte Aufmerksamkeit und Zeit mit mir zu haben. Wie schön! Mein Mann will Zeit mit mir verbringen! Und wenn ich jetzt sein Wohl vor Augen habe, dann setzte ich doch alles daran, ihm dieses Bedürfnis zu stillen. Und wenn mein Mann auch nicht seinen eigenen, sondern meinen Vorteil vor Augen hat, dann ist er eben bereit sich seinen Ängsten zu stellen und auch meine Wünsche ernst zu nehmen. Er kann vielleicht nicht nachvollziehen, dass ich auftanken und mich erholen kann, wenn ich einen Film schaue, aber er kann es akzeptieren und mir darin die Freiheit geben.

Ich habe sein Wohl vor Augen und er meines: Dann ist unser Eheleben ganz schön im Gleichgewicht und niemand muss das Gefühl haben zu kurz zu kommen.

 

Es ist ganz und gar kein natürliches Gesetz, das sich uns hier zeigt. Menschlich wäre nämlich, dass jeder auf sein Recht pocht und Sätze wie: «das ist mein gutes Recht!», «Du hast mir nichts zu sagen!», «Jetzt bin ich mal dran!», «Immer nur du!» - das sind die Sätze, die wir in der Beratung immer wieder hören. Eine solche Einstellung gibt schnell mal verhärtete Fronten und die Beziehung wird bedroht.

 

Wenn wir aber bereit sind, uns mit der göttlichen Gesetzmässigkeit auseinanderzusetzten, nämlich, dass wenn ich den anderen mehr achte als mich selbst und seinen Vorteil vor meinem sehe, dann passiert das Undenkbare: Ich werde auch abgesättigt und meine Sehnsüchte gestillt! Vielleicht nicht immer von meinem Gegenüber, aber ganz bestimmt von Gott und seinen Verheissungen für mein Leben!

 


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